15.9.07 - Alphaville

Godards dystopische Vision einer faschistoiden Gesellschaft, die von einem zentralen Superhirn namens Alpha 60 beherrscht wird, einem sprechenden Computer welcher den Menschen, die ihn erschaffen haben, 150 Lichtjahre vorraus ist, und durch diesen Vorsprung alle Aktionen und Reaktionen logisch vorrausberechnen kann. Die Bürger von Alphaville, der Stadt die von Alpha 60 kontrolliert wird, stehen unter der Knechtschaft von Einsteins Relativitätstheorie, deren unausweichliche Logik keine Emotionalität und Gefühlszustände kennt: sie werden als unlogisch deklassifiziert da sie von Alpha 60 nicht berechnet werden können. Für Alphaville existiert daher lediglich die Gegenwart - die Vergangenheit steht für unlogische Relikte der Menschheit wie die Kunst und Kultur, die Zukunft dagegen wird von Alpha 60 bestimmt. Jeder, der sich dieser Logik zuwieder verhält, wird in einer befremdlichen Zeremonie exekutiert. Auf der Abschussliste befinden sich Opportunisten, die sich den Gesetzen von Alphaville nicht unterwerfen, da sie z.B. geweint haben als sie ihre Frau verloren, und diese Freiheit nun mit ihrem Leben bezahlen. Da Alpha 60 bereits alles vorausberechnet gibt es keine Fragen mehr sondern nur noch logische Schlussfolgerungen, wodurch mitunter formelhafte “Dialoge” zustande kommen: Die allgemein gebräuchliche Begrüssungsformel z.B. lautet “Wie geht es Ihnen? Ausgezeichnet. Danke. Bitte.”, mit dem Unterschied dass sie in Alphaville von einer einzigen Person vorgetragen, und somit jedwede Abweichung von der Norm bereits im Keim erstickt wird. Lemmy Caution ist ein Geheimagent der, getarnt als Journalist, das System von Alphaville zu infiltrieren und bedeutende Informationen für die autonomen Aussenbezirke zu sammeln versucht, mit denen sich Alphaville derzeit im Krieg befindet um die totale Weltherrschaft an sich zu reissen. Godards Alphaville ist eine futuristische Vision eines Film Noir, getaucht in düstere schwarz/weiss Bilder und unterlegt mit einem enervierenden Score. Der Geheimagent Lemmy Caution, der sich in einer ganz kurzen Szene mit dem Daumen über die Unterlippe streicht und damit Jean-Paul Belmondo in Ausser Atem imitiert, der so wiederum Bogart huldigt, ist eine typische hard-boiled Figur des Noir, Mit Trenchcoat und Pistole, dem Verlangen nach Geld und Frauen, und der abgebrühten Art eines Chandler/Hammet Charakters. Dass er seine Geschichte über die Erzählstimme kommuniziert zeigt umso mehr noch die Nähe zu seinen Vorbildern, ganz zu schweigen von seiner pessimistisch, düsteren Weltansicht und der darin hoffungslos verwickelten, entfremdeten Figur, die kühn, wagemutig und ohne Rücksicht auf Verluste gegen das System anrennt. Sein Faible für klassische Genre-Stoffe unterstreicht Godard aber nicht nur durch die Noir-Lastigkeit seiner Inszenierung, sondern auch durch die Verfolgungsjagden und Schiessereien wie in den klassischen amerikanischen Gangster- bzw. Agentenfilmen, während er dagegen bei der SciFi-Thematik dem Genre vorrausgeeilt ist: der sprechende Supercomputer Alpha 60 mutet an wie ein Prototyp für den erst drei Jahre später auf der Bildfläche erscheinenden HAL9000 aus Kubricks 2001.

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