29.1.07 - Play Time

Filmreihe Jaques Tati (#1):

Es dauert beinahe eine geschlagene viertel Stunde bis wir dem vermeintlichen Hauptcharakter des Films zum ersten mal begegnen - Monsieur Hulot alias Jacques Tati, seines Zeichens Regisseur von Play Time. Bis es jedoch soweit ist, beobachten wir zunaechst einmal das muntere Treiben am Flughafen von Paris, ein wildes und unuebersichtliches, aber merkwuerdig vorbestimmtes und exakt gesteuertes Gewusel aus Einzelpersonen, Paaren und Reisegruppen, welche die architektonisch geradlinig strukturierten Hallen ueberfluten und mit Leben bevoelkern. Und wenn gerade mal fuer einen kurzen Moment alles zur Ruhe zu kommen scheint, biegt kurzerhand die naechste quasselnde Meute stuermisch um die Ecke, und man wuenscht sich nichts sehnlicher als dass die Zeit, und wenn auch nur fuer einen winzigen Augenblick, stehen bleiben wuerde. Doch die Hektik des Alltags kennt kein Pardon, und ist nur eines von vielen starken Motiven derer sich Tati waehrend des Films ueber annehmen wird.

Zunaechst aber wieder zurueck zu Mr. Houlot, dessen Praesenz im Film sich nach einer kleinen Verwechslung am Flughafen inzwischen etabliert hat, und den wir nun fuer eine ganze Weile dabei begleiten wie er durch ein mordernisiertes Paris stolpert, und ein ums andere mal daran scheitert ein geplantes Meeting wahrzunehmen. Glaeserne Hochhaueser bilden dabei den zweiten Schauplatz des chaotischen Treibens, und auch hier trifft die Geradlinigkeit der Architektur und des Innenlebens auf eine meist recht unsinnige Ueberregulierung konsumgesteuerter Buerger. Tatis Film spricht hier eine eindeutige Sprache, indem er anhand einer rein bildlichen Komik eine Kritik an der technisierten, modernisierten und zu Tode geregelten Gesellschaft formuliert, diese jedoch derart detailiert und beilaufig in seinen Bildern verpackt, dass man in jeder unaufmerksamen Sekunde von der Angst befallen wird, man habe wieder etwas wichtiges verpasst. Vor allem auch, da er es strikt verweigert auf diese Details besonders aufmerksam zu machen, etwa durch entsprechende Nah- oder Detailaufnahmen oder Dialoge die diese zum Gegenstand machen wuerden. Doch Tati bleibt fast den gesamten Film ueber seiner Linie treu, und nutzt seinen ihm zu Verfuegung stehenden filmischen Raum konsequent aus indem er diesen beinahe ausschliesslich aus Totalen zusammensetzt. Das mag manchmal etwas schwierig zu ueberblicken sein, da er oft dutzendweise Personen gleichzeitig agieren laesst, regt aber umsomehr den Entdeckerdrang an, der jedenfalls reichlich belohnt wird, nicht nur da Aufbau und Abfolge der einzelnen Szenerien stets praezise durchkomponiert sind, sondern auch weil es in den illustren Dekors immer und ueberall etwas zu entdecken gibt.

Tatis Kritik zielt aber nicht nur auf die Schnellebigkeit sondern auch auf die zunehmende Anonymisierung der Gesellschaft, die neben dem Volkswagen (hier vermutlich ein Citroen oder Renault), dem Volkshut und dem Volksmantel sogar einen Volkssessel hervorgebracht hat, dessen Leder so konzipiert ist, dass es sich durch eventuelle Ausbeulungen vom Sitzen ganz von selbst in den Ursprungszustand zurueckversetzen kann, was jedoch von einem quietschenden Geraeusch quittiert wird, welches wiederum die Waage zwischen Komik und Kritik aufs herrlichste austariert. Play Time karikiert die zunehmende Vereinfachung, Vereinheitlichung, Standardisierung und Reglementierung des Lebensalltags, der vor lauter Routine kaum mehr Freiraeume fuer Individualitaet zulaesst, dafuer aber umso mehr die Verwechslungsgefahr aufgrund mangelnder Alternativen foerdert, deren Leute wie Mr. Houlot zum Opfer fallen. Dem Konsumtourismus geht es ebenfalls an den Kragen, der in der Kulturhauptstadt Paris natuerlich besonders eklatant und deutlich ausfaellt, und von Tati durch unglaubliche Rafinesse in Szene gesetzt worden ist: unter den Touristenhorden die aus den unzaehligen Bussen stroemen ist eine junge Frau, welche die Sehenswuerdigkeiten von Paris allein durch die Reflektionen an den glaesernen Haeuserfronten wahrnimmt. Immer wieder haben diese Spiegelungen bzw. das Glas selbst eine besondere Rolle im Film. Im dritten Szenario z.B. wird Houlot von einem alten Schulfreund zu sich nach Hause geladen. Die gesamte Szene wird von vor dem Haus gefilmt, da man durch die komplett verglaste Front das Leben der Bewohner mitverfolgen kann. Der glaeserne Mensch der Moderne hat weder eine Privatsphaere, noch stoert es ihn, da es alle um ihn herum gleich tun und die Gewohnheit wiedereinmal der Indivudialitaet den Garaus macht. Wie ein Groessteil des Films kommt auch diese Szene ohne einen einzigen relevanten Dialog aus, meistens hoert man nur Umgebungsgerausche oder unverstaendliches Gemurmel, ein Beinahe-Stummfilm also, dessen Elemente er in einer Epoche verankert, die den Stummfilm eigentlich schon laengst hinter sich gelassen hat. Die Kritik an touristischer Massenabfertigung kumuliert schliesslich in der vierten und letzten grossen Szene, in einem Restaurant das von einem beinahe noch Rohbau innerhalb eines Abends in einen Touristentempel umfunktioniert wird, und bereits Reservierungen fuer Tische annimmt, als noch nichteinmal der Eingangsbereich fertiggestellt ist. Ein Paradeispiel fuer das Schein statt sein, dass der Film in dieser Szene am deutlichsten zum Ausdruck bringt, gleichermassen aber auch ein letztes Aufbaeumen dieser wunderbar grotesken Komik, welche in dieser ausufernden Szene am ehesten den Slapstickeinlagen des klassischen Stummfilms gleicht.

Play Time ist ein Film wie er filmischer kaum sein koennte, der von seinen Bildern und den sich daraus entwickelnden Situationen und Stimmungen getragen wird, und ohne die Geschwaetzigkeit auskommt die seine pointiert geschilderten Aussagen nur verwaessern wuerden. Wunderbar auch, wie sehr sich der Film einer stringenten Handlung und logischen Hoehepunkten verweigert, und auch immer genau das zu tun scheint, was man nicht erwartet. Play Time ist so reich an Ideen, dass es sogar fuer mehrere Filme gereicht haette, und dessen liebevolle Details, wiederkehrende Elemente und winzige Kleinigkeiten, die man vielleicht nicht alle beim Ersten mal sofort erschliesst, zu Wiederholungen geradezu einladen. Einen gleichermassen clever umgesetzten, filmisch ausgereiften, ideenreichen, humorvollen, amuesanten und kritischen Film habe ich selten gesehen. Und dann auch noch dieser Kreisverkehr am Ende, der ploetzlich die imaginaere Gestalt eines Karusells annimmt… ach, man koennte noch so vieles ueber diesen wunderbaren Film schreiben.

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