4.4.08 - Into the Wild


Happiness only real when shared

Sean Penn der Regisseur - zum wiederholten male nun übt sich der ansonsten eher für seine Schauspielkünste gerühmte Penn an einer Regiearbeit. Dabei herausgekommen ist ein unterhaltsamer Film über einen Aussteiger, der eines Tages seine Siebensachen packt und vor seinem zerstrittenen Elternhaus und dem angepassten Alltag eines Städterlebens quer durch die USA nach Alaska flüchtet. Basierend auf einer Buchvorlage erzählt der biographische Film von den verschiedenen Stationen seiner Reise bis hin zu seinem tragischen Tod, der angesichts der Tatsache, dass die Geschichte einst so vorgefallen ist, zunächst einen sehr bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Denn bis auf die letzte halbe Stunde wird die Suche von Alexander Supertramp (einen Namen den er sich selbst gegeben hat) nach totaler Freiheit und Individualität fast schon etwas romantisch verklärt dargestellt: er zieht von einem Ort zum Nächsten, ohne einen einzigen Cent, unbekümmert und fast schon ein wenig naiv, und ohne dass er dabei grössere Hindernisse oder Schwierigkeiten überwinden müsste. Selbst das Paddeln auf einem reissenden Fluss scheint für einen Anfänger wie Ihn fast wie ein Kinderspiel - erst als er von einem wütenden Polizisten aus dem Waggon eines Zuges geprügelt wird, und bis dahin ist bereits einige Zeit verstrichen, bekommt man so langsam aber sicher den Eindruck, dass der aufregende, abenteuerliche Trip auch seine Schattenseiten hat.

Untermalt werden die fantastischen Naturaufnahmen von sensiblen, gefühlvoll arrangierten Songs aus der Feder von Pearl Jam Mastermind Eddie Vedder, die dem Film eine überaus poetische, träumerische Note geben, und Alex’ Drang nach Freiheit und Natur nachfühlbar machen. Nur ganz selten schrammen die Bilder haarscharf am Kitsch vorbei, etwa dann als er einem Hippiepärchen begegnet und die Möwen am Meer in Zeitlupe quer über den Himmel ziehen, und grundsätzlich immer wenn derlei Stilmittel die Erzählung und die elegischen Bilder aufbrechen. Hier hat es Penn wohl ein wenig zu gut gemeint, denn die Zeitlupen, Freeze Frames und Split-Screens wollen so gar nicht zum inhaltlichen Konzept des Films passen, der eigentlich gute 2 1/2 Stunden lang die Reduktion auf das vermeintlich Wesentliche zur Schau stellt, und den Weg eines Menschen weg vom Konsum und Materialismus zurück in die unberührte Natur schildert. Sie wirken nicht nur aufgesetzt, sondern sind auch der Erzählung und Dramaturgie nur selten wirklich dienlich. Doch abgesehen davon funktioniert das narrative Konzept des Films, der vor allem mit Rückblenden arbeitet, sehr gut, sowie sich auch die Stimme seiner Schwester nahtlos einfügt, die nämlich einen Grossteil des Films begleitet und einerseits beruhigend, andererseits tief besorgt genau das ausformuliert, was man sich indes im Kopf ausmalt.

Unterteilt in fünf Kapitel, die bedeutungsschwangere Titel wie ““My own Birth”, “Adolescence”, “Manhood”, “Family” und “Getting of Wisdom” tragen, verfolgen wir die Entwicklung und das Vorankommen von Alex bis zu seinem Traumziel Alaska, wo die Geschichte letztendlich ihren traurigen Höhepunkt findet. Nach einigen Wochen alleine in der Wildnis fühlt sich Alex einsam, und nicht nur durch den inzwischen reissenden Fluss vollständig von der Aussenwelt isoliert. Seine Gedanken kreisen nun immer weniger um Poesie und Philosophie, die Ihn stets auf seinem Wegen begleitet haben, sondern immer mehr um niedere Bedürfnisse wie die Nahrungsversorgung. So beginnt er irgendwann auch nach essbaren Pflanzen zu suchen, nachdem ihm das Zubereiten einer Mahlzeit nach dem Erlegen eines stattlichen Elchs völlig misslingt. Das Abenteuer, das er bis dahin mit Leib und Seele gelebt hat wird plötzlich zu einem Kampf ums Nackte überleben. Into the Wild zeigt in diesen letzten Minuten auf eindringliche Art und Weise, wie sehr der Mensch von der Natur abhängig und ihr, abseits der stressgeplagten Zivilisation, ausgeliefert ist. Eine falsche Entscheidung oder eine kleine Unachtsamkeit kann das Leben kosten, und so geschieht es dass Alex ein ungefährliches mit einem giftigen Kraut verwechselt und schliesslich daran verendet. Die Ignoranz gegenüber möglichen Gefahren, die der Film auch lange Zeit hegt, wird plötzlich zur Methode, die den Zuschauer anfangs noch eingelullt und in Sicherheit und romantischen Abteneuervorstellungen gewägt hat, gegen später dann aber immer stärker umgekehrt und visualisiert wird. So auch in einer Szene, als Alex einem alten Mann, dem er zufällig über den Weg gelaufen ist und mit dem er eine enge Freundschaft geschlossen hat, das Panorama auf einem Berggipfel zeigen möchte, und jener sich zunächst weigert, dann aber doch zu ihm aufsteigt, für einen kurzen Moment strauchelt, und einem möglicherweise tödlichen Sturz nur haarscharf entrinnt.

So steht das letzte Kapitel in einem ganz anderen Licht als die Zuvorderen, was der Geschichte auch eine dringend benötigte Ambivalenz verleiht (die sogar schon fast ein wenig zu spät kommt). So stirbt Alex zwar langsam und qualvoll, aber der Film schildert dies, im Verhältnis zu den vielen anderen Ereignissen, unspektakulär und nur mit wenigen Szenenabfolgen, die zwar einen starken, aber keinen überzeichneten Kontrast zum Rest des Filmes ausmachen - Alex ist für seinen Traum gestorben, doch im Angesicht des Todes ereilt Ihn nunmehr die bittere Erkenntnis, dass das Glück nur dann wirklich wertvoll ist wenn man es auch teilen kann. Und so lässt es die Freundschaften, die er auf seiner Reise geschlossen hat, umso wertvoller und wichtiger erscheinen, und seinen Weg als das eigentliche Ziel erkennen - immerzu war Alex “auf dem Sprung”, hat die Menschen, die er lieb gewonnen hat hinter sich gelassen. Dennoch ist Penn weit entfernt von einem pauschalen Urteil, da er Alex in seinen letzten Atemzügen noch einige klare Gedanken formulieren lässt, und seine Entscheidung gegen ein spiessiges, formelhaft angepasstes Leben zugunsten der Reise nach Alaska auch beim zweiten Mal ziemlich eindeutig ausfällt.

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