9.2.08 - Juno
Bei den diesjährigen Oscars wird Juno wohl die Rolle von Little Miss Sunshine, Sideways und Lost in Translation einnehmen: die der kleinen Indie-Produktion, die im Vorfeld schon soviel Wirbel und Mundpropaganda erfahren hat, dass im entscheidenden Moment eigentlich keine reelle Chance auf den Sieg besteht. Das war immer so, und wir sich hoffentlich auch dieses Jahr wieder behaupten, denn Juno ist ein trauriges Exempel dafür, wie wenig Substanz diese flippigen, viel gefeierten Aussenseiterfilmchen zuletzt hatten. Nicht dass die genannten Filme besonders schlecht waren, nein, das waren sie alle nicht, aber auch nicht sonderlich gut, doch Juno ragt in dieser Reihe besonders negativ heraus, und reiht sich in seiner Vortäuschung fadenscheiniger Moral sogar eher bei den verlogenen Gewinnern wie L.A. Crash und Million Dollar Baby ein. Aus diesem Grund müsste man dann doch etwas Angst davor bekommen dass Juno vielleicht ein Wörtchen mitzureden hat bei der Preisverleihung, denn wie die letzten Jahre ja immer nachweislich gezeigt haben gewinnen meist genau die, die es eigentlich am wenigsten verdient haben. Konservativ ist nämlich das Stichwort, dass nicht nur über der Oscar-Jury wie in Stein gemeisselt scheint, sondern auch über Juno wie ein Damoklesschwert schwebt.
In Juno geht es um einen Teenager der mal eben so schwanger wird, und sich dank seiner zynisch abgebrühten Besserwisserei und einem guten Elternhaus letzendlich komplett aus der Verantwortung zieht, um sich dann wieder um die schönen Dinge des Lebens kümmern zu können. In Juno spiegeln sich die erzkonservativen Werte eines Landes wieder, welches u.a. den Nährboden für extreme christliche Glaubensgemeinschaften liefert, die sich in Filmen wie Juno, der vermutlich auch deshalb ein so grosser Überraschungshit in den USA war, sicherlich ob ihrer weltfremden Meinung bestätigt sehen. Es ist eine besonders fadenscheinige und verlogene Vorstellung von Moral die in Juno propagiert wird: es geht schon damit los dass die Eltern aus allen Wolken fallen dass ihre Tochter mit 16 bereits sexuell aktiv ist - eine gleichwohl naive wie träumerische Vorstellung dass dem noch nicht so sein könnte. Die Frage, ob überhaupt verhütet wurde oder wieso nicht, kommt dabei ebensowenig zur Sprache wie der ernsthafte Gedanke an eine Abtreibung, der für ein 16 jähriges Mädchen die eigentlich selber noch ein Kind ist, sicherlich nicht völlig abwegig ist. Es scheint für Juno zwar die erste Option, wird von ihr aber bereits an der Rezeption der Klinik angezweifelt, als ihr die Empfangsdame ein Gratis-Kondom für zukünftige Intermezzi anbietet, welches sie jedoch kategorisch ablehnt, und im Warteraum schliesslich ganz verworfen, als Sie ein paar nervöse Schwangere beobachtet die auf ihren Termin warten - das ist zuviel für die kleine Juno. Das Kind muss her, aber die Verantwortung sollen gefälligst andere tragen, beichtet sie ihren Eltern: “But, uh ah, I’m going to give it up for adoption and I already found the perfect couple, they’re going to pay for the medical expenses and everything. And and what ah 30 or odd weeks we can just pretend that this never happened.”
Der Versuch, Juno als nicht ganz so gewöhnlichen Teenie zu charakterisieren, scheitert ebenso kläglich. Dass eine 16-jährige derart abgebrüht mit der eigenen Schwangerschaft umgeht ist mindestens ebenso unglaubwürdig wie ihre extrem aufgesetzt wirkende Zuneigung zu Dingen mit denen sich die Kids in ihrem Alter, und erst recht nicht die Mädels, beschäftigen würden: so to speak die Punkrocklegende Iggy and the Stooges, der Splatter-Pate H.G. Lewis, oder der Giallo-Grossmeister Dario Argento. Na klar, darfs sonst noch was sein? Doch zum Glück kommt das arme Mädchen aus einem guten Elternhaus, dass sich fürsorglich um sie kümmert und sie bei der Auswahl eines geeigneten Adotionspärchens unterstützt und all den lästigen Papierkram für sie erledigt. Dass Sie bei ihren eigens ausgesuchten Adoptiveltern ausgerechnet auf einen Kerl trifft der ihre Interessen teilt, macht das ganze noch schlimmer. So kommen dann etwa so lapidare Bemerkungen zustande wie “…You know, I always loved Gibson way more than Fender…”, als es um seine Gitarren geht, bei denen man sich wirklich fragen muss ob der Film lediglich eine Projektionsfläche des Regisseures oder die seines vermeintlichen Zielpublikums ist - verklärter und weiter fernab jeglicher Realität könnte es jedenfalls kaum mehr zugehen. Es sind aber nicht nur die peinlich platten Referenzen und beiläufig erwähnten kulturellen Artefakte mit denen sich der Film in Sachen Glaubwürdigkeit seiner Figuren ins Abseits manöveriert, sondern vor allem die Art und Weise wie hier mit der Schwangerschaft einer jungen Frau umgegangen wird. Sie wird heruntergespielt, banalisiert, und überhaupt, eigentlich kaum thematisiert: das Umfeld, die Eltern und die schwangere haben eigentlich keine grösseren Sorgen als die Auswahl der Adoptiveltern, doch souverän, weltoffen, wortgewandt, intelligent, lebenserfahren und kosmopolitisch wie die 16jährige Juno nunmal ist, meistert sie selbst die zwischenmenschlichen Differenzen des Pärchens mit Bravour, und redet Sie sich ein ums andere mal leichtfüssig heraus, wenn z.B. die Frau das Mannes nach Hause kommt, während Jung und Alt gerade in gemütlicher Zweisamkeit auf dem Sofa sitzen und zusammen Splatterfilme verköstigen. Alles klein Problem für Juno, die stets mit einer solchen Souveränität agiert, als hätte sie schon 10 Schwangerschaften hinter sich, und einen Wissensvorsprung der Sie für den Rest ihrer Tage immer wieder in trockenen Tüchern landen lässt, egal in welch prekäre Situation sie auch immer geraten sollte. Ein lässiger Spruch, und alles ist wieder im Lot, als wüsste sie jederzeit genau wo der Hase langläuft. Mit 16.
So platzt auch eines Tages die Fruchtblase, im Nu ist das Kind da, und auch schon wieder weg. Die leibliche Mutter will nichts mehr davon wissen, kein Geschlecht, keinen Namen, man könnte ja eine Bindung zum Kind aufbauen, und ausserdem brachte der dicke Bauch ja eh nur Frust statt Lust, und so kommt endlich auch die Adoptivmutter zu ihrem langersehnten Recht, das Kind in ihre Arme zu schliessen. Schwierigkeiten in der Schwangerschaft? moralische Bedenken? Muttergefühle? Übelkeit? I wo, doch nicht Juno. Die ist viel zu sehr damit beschäftigt die Stooges von Sonic Youth abzugrenzen, und geht nach dem Krankenhausaufenthalt lieber gleich wieder raus auf die Strasse um mit dem Kindesvater, der ausser mit der Zeugung eigentlich gar nichts zu melden hatte, die heile Welt zu besingen: endlich wieder dünn, endlich wieder frei, endlich keine Verantwortung mehr, denn es ist Sommer, und das Babyproblem hat sich ja ohnehin von selbst gelöst. So dümpelt der Film über 90 Minuten lang vor sich hin, ohne komödiantische oder emotionale Höhepunkte, und ohne einen spannenden oder erfrischenden Einblick in die Gefühlswelten junger werdender Mütter und Väter zu geben, und frei nach dem Motto: wenn schon “sex before marriage”, dann doch bitte wenigstens ohne Kondom, wozu hat man schliesslich eine fürsorgliche Familie und potentielle Adoptiveltern da draussen. Land of the Free - wie es singt und lacht.
Garniert mit einem beliebig vor sich hinschrammelnden Indie-Soundtrack, der eher Dauerberieselung denn funktional für die Erzählung ist, und unter der Herrschaft einer schrecklich affektiert spielenden Ellen Page, die alles andere als witzig sondern einfach nur nervtötend agiert, mausert sich Juno zu einem der unerträglichsten Filme des letzten Jahres, dessen moderner, jugendlicher Inszenierungsstil kaum verschleiern kann, welche altertümliche, erzkonservative Meinung hier zwischen den Zeilen propagiert wird. Den Jungen Amerikanern wirds dennoch gefallen, und sie erst recht dazu animieren beliebig Sex zu haben, denn Konsequenzen haben sie ja keine zu befürchten - in Filmen wie Juno wird einem ja vorgeführt wie man das als aufgeklärter Jugendlicher heutzutage problemlos meistern kann.
Am 26. Februar 2008 um 01:16 Uhr
Irgendwie beißt du dir hier für mein Gefühl selbst in den Schwanz - ist der Film nun erzkonservativ, weil er Abtreibung und Kondome als Übel zeichnet, oder propagiert er, dass wildes Herumgeficke und freie Sexualität unter Jugendlichen “heutzutage problemlos” gemeistert werden können?
Nicht, dass ich JUNO auch scheinheilig findne würde, aber die Argumentation wirkt widersprüchlich.
PS: Du kritisierst eine Figur, die reiner Konstruktion entspringt. Warum akzeptierst du sie nicht als fiktiven Bestandteil eines fiktiven Films, der eine schrullige Welt porträtieren möchte, sondern machst da ständig einen Abgleich mit der Realität?
Am 26. Februar 2008 um 10:08 Uhr
das ist in der tat ein etwas wunder punkt meiner kritik, auch wenn sie die sache meiner erachtens nicht beisst: sex ist ja der fortpflanzung dienlich, und daher natürlich erstmal grundsätzlich zu begrüssen (”neue schäfchen züchten” ). klar entspringt die figur einer konstruktion, das macht sie aber nicht immun davor auch gegen die realität abgeglichen zu werden. der film gibt für ich auf der abstrakten, schrulligen ebene nicht viel her, daher ist es nur legitim die andere seite des films auch dahingehend abzuklopfen, wieviel bestand es im hier und jetzt hätte.