24.1.08 - No Country for Old Men


“This country’s hard on people, you can’t stop what’s coming…”

Wasserrauschen, Hundebellen, zirpende Grillen, knarrende Dielen, pfeifender Wind, knischernder Sand unter den Stiefeln: in No Country for Old Men geben die Geräusche den Ton an.

Es ist ein Film der Gebrüder Coen, der nach ihren schwächeren letzten Beiden, The Ladykillers und Intolerable Cruelty, in etwa so überraschend kommt wie so mancher Mord in diesem überaus düsteren Thriller. Einerseits so vollkommen anderes wie die beiden Vorgänger, weniger comichaft und eher gemächlich und minimalistisch inszeniert, andererseits aber so typisch Coen wie man es sich nur vorstellen kann: begnadete Bilder von Kameragott Roger Deakins, grossartige schauspielerische Leistungen von Altstars wie Woody Harrelson und Thommy Lee Jones, aber auch von weniger bekannten wie Javier Bardem (den man wohl am ehesten als pychopatischen Woodookiller aus Perdita Durango in Erinnerung hat) oder Josh Brolin, schrullig schräge Charaktere bis in die kleinsten Nebenrollen, subtiler schwarzer Humor, bissige Dialoge, zynische Gesten… all das vereinen die Brüder zu einem Film, der mit Sicherheit einer der Höhepunkte ihres Schaffens markiert, und der so unaufgeregt und wohlkonzipiert daherkommt, dass man sich dessen morbider Faszination schon nach wenigen Minuten kaum mehr entziehen kann. Konnte man den beiden Vorgängern nur allzuleicht fortgeschrittene Verwässerung typischer Coen’scher Motive und gesteigerte Mainstreamattitüde vorwerfen, so wirkt No Country for Old Men geradezu wie eine Rückbesinnung auf alte Werte und Stärken. Von Angestaubtheit jedoch keine Spur - als hätten sie den Suspense für sich neu erfunden, zelebrieren sie eine überaus spröde, grimmige Narration die von diversen Zufällen bestimmt ist, und trotz des gemächlichen Tempos auf eine sehr angenehme Gangart fesselt wie ein Hitchock zu seinen besten Zeiten. Der Film wirkt keine Sekunde übereilt oder gehetzt, seine statischen Bilder und langsamen, unauffälligen Kamerafahrten überaus elegisch und poetisch. Unnötiges wird per se ausgeblendet, was nicht ins Bild gehört wird auch nicht gezeigt, was zählt ist der Einsatz filmischer Werkzeuge die die Brüder schon längst bis zur Perfektion beherrschen: Montage, Bildkadrierung, Mise-en-Scene, das ausgeklügelte Sound-Design, nichts wurde dem Zufall überlassen oder lenkt vom Wesentlichen ab, selbst Musik ist so gut wie nicht existent - jedes kleinste Detail ist der eindringlichen, und szenenweise im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Erzählweise geschuldet.

Im Gegensatz zu ihren beiden letzten Filmen ist No Country for Old Men wieder der erste Film der Coens, der die düstere, noir-typische Tonalität ihrer früheren Filme anschlägt: das zeigt sich nicht nur in der farblich reduzierten Darstellung amerikanischer Kleinstadtkulisse, der sparsamen Ausleuchtung der Innenräume und der gezielten Verwendung von Licht- und Schatteneffekten, sondern vor allem auch in den fatalistischen Figuren. Der einstige Jäger wird hier zum Gejagten, der plötzlich zwischen dem Jäger und seiner Beute steht. Es gibt für ihn eigentlich keinen Ausweg, denn schnell merkt er dass der Jäger seinen Prinzipien treu bleibt und nicht von ihm ablassen wird bis er das bekommt was er möchte. Und so arbeitet der Film auch auf zielstrebig auf ein finales Duell hin, stellt alle Weichen auf eine direkte Konfrontation, wie man sie am ehesten vom Western her kennt und erwarten würde, die jedoch, vermutlich zur Überraschung vieler, gänzlich ausbleibt: stattdessen zeigt es den bis dato als so gut wie unbesiegbar dargestellte psychopathische Killer mit menschlichen Schwächen behaftet und ebenso wenig vor dem Zufall gefeit wie seine Opfer, und der Gejagte wird im bildlichen Abseits kurzerhand zum egoistischen Einzelkämpfer, der für die Beute sogar das Leben seiner Frau aufs Spiel setzt. Zuguterletzt wird der Zuschauer Zeuge eines Dialogs zwischen dem alternden Sheriff, der jüngst zurückgetreten ist, und seiner fürsorglichen Frau, der auf ihre Frage hin ob er gut geschlafen habe, erwiedert: “I don’t know. Had dreams…”, und dann von zwei Träumen erzählt die er letzte Nacht hatte, die er mit den Worten “…and then I woke up” besiegelt, während der Film dann langsam in ein schwarzes Nichts ausblendet. Erinnerungen an das grossartige, ähnlich unspektakuläre Finale von Sopranos werden an dieser Stelle wach, einer der besten TV-Serien die das US Fernsehen je hervorgebracht hat, das einen auch mit dieser unterschwelligen Gewissheit über das Schicksal der Figuren, aber auch mit ebenso viel Freiraum für Spekulationen und Interpretation zurückgelassen hat. Dieser abschliessende Traum-Monolog des Sheriffs rahmt die Erzählung ein, die anfänglich mit einem Off-Kommentar von ihm begann, und die den Geist des Films präzise reflektiert: No Country for Old Men handelt von einem Gesetzeshüter der mit der Realität, mit der er in seinem Job heutzutage konfrontiert wird, nicht mehr wirklich klar kommt, und sich ob der schrecklichen Verbrechen und deren Motivation vollkommen überfordert und hilflos gegenüber sieht. Seine letzten Worte, bevor der Film dann mit der Einführung des Killers beginnt, lauten dann auch bezeichnenderweise wie folgt: “The crime you see now, it’s hard to even take its measure. It’s not that I’m afraid of it. I always knew you had to be willing to die to even do this job - not to be glorious. But I don’t want to push my chips forward and go out and meet something I don’t understand. You can say it’s my job to fight it, but I don’t know what it is anymore. More than that, I don’t want to know.”.

Ähnlich wie in einem klassischen Film Noir geht es auch in No Country for Old Men weniger um das wer, auch wenn vielleicht einige Zeichen (insbesondere durch den gezielten Einsatz von Spiegeln und Schatten) darauf hindeuten dass der Sheriff und der Killer ein- und dieselbe Person sein könnten, sondern vielmehr um das warum, auf das es hier nur eine einzige plausible Antwort gibt: des Geldes wegen. Alles dreht sich um die Beute, und egal wer dazwischensteht findet den Ausweg meist nur im Tod. Ihr Schicksal scheint den Charakteren zwar schmerzlich bewusst, dennoch kämpfen sie verzweifelt dagegen an: der Gejagte versucht alles um sich von seinem Schatten, dem Jäger, zu lösen, doch beide arbeiten mit allen Mitteln und Tricks die sie auf Lager haben um ihr Gegenüber zu überlisten. So finden sich auch die beiden stärksten Motive im Film Noir der 40er Jahre, Entfremdung und Obsession, subtil im Film verwoben: wie der Titel bereits besagt, sind hier Figuren im Spiel die ihre beste Zeit schon längst hinter sich haben - so z.B. der Sheriff, der dem Killer stets (absichtlich?) einen Schritt hinterher ist, oder auch die alterssenile Mutter, die gar nicht so recht weiss was und wie ihr geschieht, in darauffolgenden Szene dann schon unter der Erde liegt. Obsessiv dagegen alle jene, die habsüchtig und gierig hinter der Beute hinterherjagen: der abgebrühte Killer, der Gejagte der die Beute mit aller Macht zu sichern versucht obwohl er ganz genau weiss dass es für ihn eigentlich keinen Ausweg mehr gibt, und eine dritte Partei, die sich ebenfalls einmischt und teuer dafür bezahlen muss. Emotionale Hysterie sucht man in No Country for Old Men vergebens. Nicht nur, dass hier kaum ein Wort zuviel gewechselt wird, sondern auch die Tatsache, dass selbst bei blutigen Schiessereien oder anderen tödlichen Schicksalen keine Tränendrüsen-Dramaturgie einsetzt, kein Geschrei und keine Gefühlsausbrüche losgetreten werden, ist angesichts der Ereignisse die sich abspielen extrem nüchtern und abgebrüht, als wüssten die Figuren genau was zu tun ist, oder was ihnen bevor steht. So verabschiedet sich der Gejagte auch mit folgenden Worten von seiner Frau: “: If I don’t come back, tell mother I love her.” …”Your mother’s dead, Llewelyn.”… “Well then I’ll tell her myself.”.

Es ist eine in ihren Grundzügen eigentlich völlig simple Geschichte, die dank der souveränen Inszenierung jedoch derart fesselt und eine bildliche wie akustische Tiefe offenbart, dass man getrost behaupten kann dass sich die Coens mit diesem schnörkelosen, kompromisslosen Film ein weiteres Denkmal gesetzt haben: eine derart souveräne, stilistische Fingerübung, die aber gleichermassen von der ersten bis zur letzten Sekunde an fesselt, suchte man in vergangenen Filmjahr jedenfalls so gut wie vergebens. Schön dass die Coens wieder zurück sind, vielleicht sogar stärker denn je. Für mich gehören Sie jedenfalls schon lange zu den wertvollsten Regisseuren die das amerikanische Kino seit nun schon gut 20 Jahren zu bieten hat.

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