17.1.06 - Letztes Jahr in Marienbad


eyes wide open

Letztes Jahr in Marienbad ist ein stilistisch wie erzaehlerisch reizvoller Film, der die Schuldgefuehle einer Frau und das Erinnerungsvermoegen ihres Verehrers formal so weit auszureizen vermag, dass die Schwerelosigkeit der geschilderten Situationen, die irgendwo fernab zwischen Traum und Realitaet divergieren, auf den Betrachter ueberspringt. Es sind vielerlei Dinge die diesen Film zu einer aussergewoehnlichen Erfahrung machen, die zu einer formvollendeten Gestalt beitragen die ihn als individuelles Kunstwerk herausragen laesst: schwelgerische und hochpraezise Kamerafahrten, wunderschoene Schauplaetze, schwerfaellige Orgelmusik, ein scheinbar willkuerliches hin- und herspringen zwischen den Zeitebenen, die zunehmende Diskrepanz zwischen Erzaehlstimme und tatsaechlich Gezeigtem, bis ins Detail durchkomponierte Einstellungen, und nicht zuletzt eine raffinierte und in die Irre fuehrende Erzaehlform die sich kontraer zu den oft streng symmetrischen Bildern verhaelt.

Mit doppeldeutigen Szenerien macht sich der Film daran, die schachaehnlichen Figuren, die meist nur hintergruendig und mit schemenhaft versteinerten Mienen auftreten, durch eine vielschichtige Bildsprache zu charakterisieren. Der vermeintliche Ehemann etwa, der als gewiefter Spieler auftaucht, entpuppt sich durch eine zweideutige Montage als latente Bedrohnung fuer das junge Glueck, als er auf dem Schiesstand auf eine Atrappe zielt, in der darauffolgenden Einstellung aber direkt auf seine Frau geschnitten wird. Namen sind irrelevant und kommen daher auch nie zur Sprache, ausser in einer kurzen Szene, bei der sie ihn fragt wie die beiden Statuen denn heissen wuerden an denen sie sich zum ersten mal begegnet sind, und er darauf erwiedert dass Namen doch nichts zur Sache tun, und auch die Orte scheinen beinahe beliebig austauschbar. Beilaeufig portraitiert Resnais das lethargische Leben einer Oberschicht, die in dem Hotel zeit- und zustandslos vor sich hinzuexistieren scheint und keine Rueckschluesse auf auesserliche gesellschaftspolitische Zustaende zulaesst. Die Bilder erzaehlen spickzettelgrosse Geschichten ueber die Menschen die sie einrahmen, und portraitieren unfreiwillige Gefangene ihres eigenen Lebensstils, an jenem die Kamera jedoch nur mit verhaltenem Interesse teilnimmt, da sie zwar im vorbeigehen immer wieder Gespraechsfetzen aufgreift, diese aber auch schnell wieder fallen leasst da sie nie lange an Ort und Stelle verweilt.

Letztes Jahr in Marienbad stellt sein surreales Sujet derart zur Schau, dass man beinahe selbst Zeit und Raum vergisst und ebenso in Erinnerungen an etwas Schoenes und Unvergessliches schwelgt, in der Hoffnung jedoch dass einen das Gedaechtnis nie im Stich lassen moege, und man vielleicht eines Tages jenes filmische Raetsel knackt, welches zuvor noch als unloesbar galt.

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