4.8.08 - In Bruges

Ob Metropolis oder Caligari in der Stummfilmzeit, ob in Zeiten des Film Noir, wo die düsteren Strassenschluchten die Ästhetik und Stimmung des gesamten Films diktierten, ob in den neorealistischen Filmen der Italiener, wo echte Schauplätze für Nähe und Identifikation mit dem Leid der Charaktere sorgten, oder auch in den grossen Comicverfilmungen der heutigen Zeit wie Sin City oder Batman Begins - schon immer konnten exzentrische Stadtbilder Filme prägen, und sind oftmals auch wesentlicher Bestandteil der Erzählung. Sie stecken nicht nur den ästhetischen Rahmen der Filme ab, sondern bestimmen auch die Motive und Verhaltensweisen ihrer Bewohner und Besucher mit, und natürlich auch die Wirkung auf den Zuschauer. In Bruges, zu Deutsch in Brügge, ist einer dieser Filme, in denen der Stadt eine solche Hauptrolle zuteil wird. Sie ist weder nur temporärer Schauplatz, noch verkommt sie zur beliebig austauschbaren Kulisse, sondern ist integraler Bestandteil einer Geschichte die von zwei Profikillern handelt, die nach einem verpatzten Auftrag in genau dieser Stadt Unterschlupf suchen.

Nicht umsonst wird Nicolas Roegs verstörender Mystery-Thriller Don’t Look Now desöfteren (auch namentlich) zitiert: so manches scheint sich Regisseur Martin McDonagh für In Bruges davon abgeguckt zu haben - selbst ein Zwerg hat es in seinen Film geschafft. Vor wunderschönen Aufnahmen der mittelalterlichen Altstadt Brügges entfaltet sich eine düster dramatische, bisweilen aber auch grotesk humorvolle Gangstergeschichte, die, trotz der eher gemächlichen Erzählweise, äusserst abwechslungsreich und kurzweilig in Szene gesetzt wurde. Mal nervenaufreibend spannend, mal einfach nur witzig und überdreht, gelingt dem Film eine schwierige Gratwanderung zwischen Drama, Thriller und Komödie. Sowohl das Drehbuch als auch das Darsteller-Ensemble macht seine Sache hervorragend: man erfährt immer gerade genug über die Charaktere um sie interessant und lebendig wirken zu lassen, andererseits werden dem Zuschauer gegenüber auch ganz gezielt Informationen vorenthalten und nur häppchenweise zur Verfügung gestellt, so dass sich der Verlauf der Handlung und die Motive der Charaktere stets unberechenbar gestalten. In Bruges spielt dann auch gekonnt am Klischee der coolen Gangster vorbei, obwohl die lässigen Dialoge und der grosszügige Einsatz von “fucks” und “shits” durchaus Erinnerungen an die Filme eines Quentin Tarantino oder Guy Ritchie hervorrufen. Es dauert jedoch nicht lange bis man auch andere Seiten der Figuren kennenlernt, die, zerfressen von Schuldgefühlen, plötzlich auch mal in Tränen ausbrechen können - Colin Farell, der junge Ungestüme, der die Schnauze von Brügge bereits voll hat als die Stadt noch nichtmal am Horizont zu sehen ist (und der seine Rolle besonders überzeugend spielt - seine Mimik und Aussprache sind einfach herrlich), Brendan Gleeson als erfahrener, abgeklärter, altersmüder Haudegen, der sich mehr für die kulturellen Attraktionen der Stadt als für deren Nachtleben interessiert, und Ralph Fiennes als cholerischer, familienverbundener Todesengel (der jedoch einen Ehrenkodex mit sich trägt der für den Ausgang des Films letztendlich mitentscheidend ist), liefern sich ein spannendes Duell zwischen Jung und Alt, zwischen Leichtsinn und Todessehnsucht, zwischen Prinzip und Hoffnung. Der morbide Charme des gothischen Stadtbildes kommt dem illustren Darstellergespann ebenso entegen wie die sanften Klänge von Coen-Hauskomponist Carter Burwell, die einen nicht unwesentlichen Teil zur melancholisch entrückten Atmosphäre des Filmes beizutragen haben. Zuguterletzt sind es auch gewisse Strukturen des Film Noir, die das Gesamtbild des Filmes mitgestalten (Orson Welles’ Touch of Evil läuft bspw. im Hotelzimmer der Killer) - die unübersichtlichen Strassenschluchten, die fatalistischen Charaktere die von ihrer Vergangenheit eingeholt werden und gegen ihr vorbestimmtes Schicksal ankämpfen, oder die Erzählstimme von Farrell, die dann auch die narrative Klammer des Filmes bildet.

Durch die spontanen Richtungswechsel in der Handlung, dem eher untypischen Setting, und den sinuskurvenartigen Ausschlägen zwischen harter Gewalt und tiefschwarzer, entrückter Komik verwehrt sich der Film einer simplen Kategorisierung, sondern entwickelt dadurch sein ganz persönliches Eigenleben. Lediglich das Timing in der Turm-Szene gegen Ende ist nicht ganz so geglückt - doch das sind nur Kleinigkeiten, die das stimmige Gesamtbild des Filmes kaum verzerren können. So werden bei In Bruges gekonnt verschiedene Stile der Postmoderne und vergangener Filmepochen ineinander vermischt, und daraus ein ganz eigenwilliges, unverkennbares Stück Film gemacht, dessen Werbewirksamkeit sicherlich ein stückweit miteinkalkuliert, vor einem kritisch-zynischen Selbstbild dennoch nie zurückgeschreckt wurde, was sich schliesslich in einem wunderbar tragischen und ungewissen Ende entlädt.

Einen Kommentar schreiben