22.5.07 - Caché
Caché bemüht sich von Beginn an um Authenzität: keine einleitende Musik, keine Titeleinblendungen, nur die statische Einstellung einer Strasse mit Blick auf ein Wohnhaus, die zunächst als Hintergrund für die kaum leserlichen Informationen zum Film dienlich ist, und die eine realistische Szenerie vermittelt, wie man sie wohl in beinahe jeder beliebigen Stadt vorfinden könnte. Doch der Schein trügt - als plötzlich Stimmen aus dem Nichts die Bilder kommentieren, und diese dann auch noch videomässig vor- und zurückspulen, ist man bereits einem ersten Hoax zum Opfer gefallen, einer symbolische Geste von Regisseur Michael Haneke, nicht blindlings darauf zu vertrauen dass das, was man sieht oder hört, auch per se die Wahrheit bedeutet - nicht in der Realität, und schon gar nicht in (seinem) diesem Film. Caché handelt nämlich u.a. von verzerrter Wahrnehmung, Tatsachenverklärung, von Wahrheit und von Lüge, die er anhand einer Geschichte, die auf längst zurückliegenden, vergessenen oder verdrängten Ereignissen basiert, zu ergründen versucht. Dabei greift er teilweise auf Erzähltechniken des Film Noir zurück, indem er z.B. anhand von Rückblenden in Form von Träumen oder Erinnerungen Ereignisse zurück in die Gegenwart transportiert, wo sich der Protagonist erneut damit auseinandersetzen muss. Auch die typischen Motive der Entfremdung, Isolation und Einsamkeit finden sich in Caché wieder, und das nicht nur auf inhaltlicher Ebene. Es gibt Einstellungen im Film, bei denen diese Motive auch formal überdeutlich herausgekehrt werden - düstere Flure, schattenverhüllte Gesichter und zugezogene Vorhänge erzeugen eine Stimmung, die von tiefer Verzweiflung, Hilflosigkeit, verdrängter Schuld und Selbstverlegnung gezeichnet ist. Es gibt eine Stelle im Film, die symptomatisch für die sich langsam ins Unheil manöverierende Handlung ist: der Mann lügt seine Frau an um sie zu schützen, doch als sie auf anderem Wege davon erfährt, wird die Situation für ihn noch viel unbequemer, da nun selbst der Rückhalt der Familie zu bröckeln beginnt, was ihn wiederum zu weiteren Verzweiflungsaktionen hinreissen lässt. Darüber hinaus ist es auch vielmehr die Frage nach dem warum, und nicht wie anfangs noch antizipiert die Frage nach dem wer, welche die Spannung konsequent vorantreibt, da sich schon der allererste Verdacht nach dem vermeintlichen Täter früh im Film bestätigt. Was folgt ist eine abgründige Irrfahrt zwischen Psychoterror, Wahrheitsfindung, Vergangenheitsbewältigung und Schuldverdrängung, bei der die Gewalt eine zentrale Rolle spielt: sie wird durch die extreme Unsicherheit, sowohl seitens der Protagonisten als auch der des Zuschauers, provoziert, und spielt sich, bis auf eine einzige, jedoch extrem drastische und unvorhersehbare Ausnahme, ausschliesslich auf psychischer Ebene ab. Haneke lässt den Zuschauer unmittelbar an diesem inneren Druck und der inneren Spannung teilhaben indem er seine Figuren glaubhaft darstellt, und nicht zuletzt auch nachvollziehbare Gefühle thematisiert, die wahrscheinlich jeder von uns schon einmal mit sich getragen hat. Caché ist ein abgründiger, unbequemer und persönlich berührender Film, dessen Thriller-, Mystery- und Dramaelemente zu einem beachtlichen Gesamtkunstwerk zusammenführt wurden, das sich sowohl die filmischen Möglichkeiten zur Realitätsabbildung zu eigen macht, gleichwohl aber auch die Künstlichkeit des Kinos und dessen Gabe der Manipulation unterstreicht, um daraus nicht nur einen intelligenten Thriller, sondern auch eine Abhandlung über Sehgewohnheiten und Wirkmechanismen des Films an sich zu stricken.
Am 27. Mai 2007 um 20:19 Uhr
Wie kein Text? Hab den Film lustigerweise am selben Tag auch angeschaut. Deine Meinung würde mich mal interessieren…
Am 27. Mai 2007 um 21:01 Uhr
text kommt noch! die einträge dienen zur zeit als platzhalter, damit ich sie nicht vergesse
Am 29. Mai 2007 um 14:50 Uhr
Schöner Text. Insbesondere der Vergleich mit dem Film Noir war für mich rückblickend noch einmal sehr interessant zu lesen. War eines meiner wenigen Highlights des vergangenen Kinojahres.