Filme 2008

Das Jahr endet mit einem Rekord - 215 Filme sind es geworden, 30 mehr als letztes Jahr, und so viele wie noch nie zuvor. Gelitten haben darunter vor allem die Texte, die zuletzt leider leider nur noch spärlich oder gar nicht kamen, und meist auch viel dürftiger ausgefallen sind. Auf der anderen Seite konnte ich natürlich viele Neuentdeckungen machen, grosse Lücken schliessen, und das aktuelle Filmgeschehen weiterverfolgen. Man kann wohl nicht alles haben, wenn die liebe Zeit knapp und die Lust auf Unbekanntes gross ist. Mal sehen ob sich dieser Trend im nächsten Jahr fortsetzt, oder ob ich wieder etwas weniger schaue aber dafür mehr schreibe… doch nun erstmal zum filmischen Rückblick:

Angefangen hat das Filmjahr 2008 mit dem traurigen Bicycle Thieves von Vittorio de Sicca, und einigen tollen Neuentdeckungen aus der New Hollywood Ärea: dem tragisch-komischen Last Detail von Hal Ashby, dem finsteren Spätwestern McCabe & Mrs. Miller sowie Bogdanovichs freizügigigem Last Picture Show. Mit dem tiefgründigen Being There und dem zynisch-kritischen Coming Home hatte sich Ashby schliesslich meine vollste Aufmerksamkeit erarbeitet, und gehört inzwischen nun auch zu einem meiner absoluten New Hollywood Lieblinge. Dazwischen immer wieder der Versuch, dem deutschen Mainstream etwas abzugewinnen, der jedoch an dem egomanischen Keinohrhasen und dem fast noch dämlicheren Wer früher stirbt ist länger tot kläglich scheitern sollte. Doch zum Glück waren im Februar auch noch die Oscars dran, die ganz im Zeichen amerikanischer Western-Traditionen standen, und mit einem derart starken Wettbewerb glänzten dass man sich manchmal beinahe in der falschen Veranstaltung wähnte. Mit dem düsteren Coen-Meisterwerk No Country for Old Men hat dann auch tatsächlich mal der beste Film des vergangenen Jahres gewonnen, der es in diversen Kategorien jedoch mit den kaum weniger starken There Will Be Blood und The Assassination of Jesse James, aber auch mit dem höchst fragwürdigen Juno zu tun bekam. Februar bedeutet zugleich auch immer Berlinale-Zeit, wo ich mit Transsiberian einen passablen Thriller, mit Be Kind Rewind eine etwas kitschige Durchhaltefabel, und mit Tres Dias einen kruden Genremix mitnehmen konnte.

Ausflüge nach Asien waren in 2008 zwar eher spärlich gesäät, dafür aber umso gezielter und ergiebiger: neben Suzukis furios entfesseltem Toko Drifter und Wakamatsus groteskem Go Go Second Time Virgin hat mich vor allem die perfekte Regie von Masaki Kobayashi in Samurai Rebellion tief beeindruckt. Im März nahm ich dann meine 2007 gestartete Werner Herzog Reihe wieder auf, und vervollständige diese mit der Sichtung einiger seiner Kurzfilme, die sich mitunter als essentiell zum Verständnis seines Gesamtwerkes herausstellten. Schöne Entdeckungen gab es jedoch auch in Hollywood wieder zu machen: die viel gescholtene aber überraschend gut funktionierende Stephen King Verfilmung The Mist, Altmeister Sidney Lumets beachtlicher Fingerübung Before the Devil Knows You’re Dead, das schattige Polizeidrama We Own the Night sowie Van Sant’s Paranoid Park, der den State of Mind der heutigen Jugend in befremdlich hypnotische Bilder zu übersetzen vermochte. Mit High Sierra, Dead Reckoning und The Big Sleep gelang es mir ausserdem weitere Lücken im Bogart/Noir-Kanon zu schliessen, während die Auffrischung der Indiana Jones Trilogie lediglich ein Schwelgen in wohligen Erinnerungen darstellte, und Gefühle hervorrief, die der neuste Aufguss der Serie kaum beschwören konnte, während im Gegensatz dazu Stallone mit Rambo eine kurze, grimmige aber nachhaltige Rückkehr auf die Leinwand feierte.

Tabu von Murnau, Point Blank von Boorman und Angst von Kargl stellten sich als drei überraschende Höhepunkte der Jahresmitte heraus, während die drei neuen “Handkamera”-Horrorfilme REC, Diary of the Dead und allen voran Cloverfield ihre (dank teilweise recht merkwürdiger Werbekampagnen) hoch geschürten Erwartungen nur ansatzweise erfüllen konnten, und in meinen Erinnerungen auch meist schon wieder verblasst sind - soviel also zu diesem neuen Trend. Mit Major Dundee und Cross of Iron habe ich letzte Peckinpah-Lücken geschlossen, und meinen letztjährigen Liebling, Jaques Tati, durch die Sichtung von Trafic, Jour de Fete und seinem wunderbaren Les Vacances de Monsieur Hulot komplettiert. Etwas verspätet kam ich zum gleichermassen intelligenten wie aufregenden Children of Men, doch nicht so spät wie zu Dancer in the Dark, dem Film den ich nun geschlagene 5 Jahre lang erfolgreich (aber grundlos) vor mir herschob. Tief berührt haben mich, wenn auch auf eine etwas andere Art, schliesslich Beide. Auch die Mitternachtskino-Sensation The Harder They Come schwirrt, ähnlich wie die Aussteiger-Geschichte Into the Wild, vor allem wegen des eindrücklichen Soundtracks immer noch in meinem Gedächtnis herum. Mitte des Jahres war es dann wieder Zeit für einige Entdeckungsreise nach Frankreich, wo ich neben Resnais und Truffaut vor allem Jean-Pierre Melville für mich entdeckte, und mit Blob Le Flambeur auch gleich eine kleine Retrospektive lostrat, die schliesslich, und hiermit verkündige ich es auch wieder offiziell, zu meinem Film des Jahres führte: dem vielschichtigen, mitreissenden und formal begnadeten Meisterwerk über die französische Resistance, Army of Shadows. Mit dem enervierenden Gefängnisdrama Le Trou von Jaques Becker wurde es dann aber fast nochmal eng um den Titel.

Mit A Streetcar Named Desire, Murnau’s Faust, Das Kabinett des Dr. Caligari, Rome Open City und Midnight Cowboy holte ich einige (zurecht) gerühmte Klassiker nach, während ich vom fiesen What Ever Happened to Baby Jane gelinde gesagt völlig überrumpelt wurde. Neben unerträglich schlechten neuen Filmen wie Hell Ride, Doomsday oder Son of Rambow standen im Herbst aber auch einige tolle Filme, wie z.B. Stuart Gordons süffisant kritischer Stuck, der grotesk komische In Bruges und Shyamalan’s mit Spott und Häme nur so überschüttetete The Happening, eine feinfühle zeitgenössische Paranoiastudie, auf dem Programm. Mit The Dark Knight folgte schliesslich der erwartete Kinohöhepunkt 2008, während sich mit dem 7 1/2 stündigen Filmexperiment Satantango neue Dimensionen des filmischen Erzählens für mich eröffneten. Fellini’s beschwingte High Society Parabel La Dolce Vita traf ebenso meinen Nerv wie die rohe, britische Gewaltstudie Scum. Das Fantasyfilmfest, bei dem Stuttgart dieses Jahr in den für das Kino temperaturmässig angenehmeren September verlegt wurde, brachte auch einige interessante Enteckungen hervor, und zwar zwei besten Horrorfilme dieses Jahres: Sean Ellis’ präzise inszenierter The Broken sowie der melancholische schwedische Vampirfilm Let The Right One In. Weiter ging es dann auch wieder mit meine Bogart/Noir Reihe, bei der sich vor allem In A Lonely Place durch Bogarts diffiziles Schauspiel und dem tollen Drehbuch hervorgehoben hat. Auf dem französischen Filmfest in Tübingen habe ich mir den unterhaltsamen Le Tueur angeschaut, und von dessen Autor einige Wochen später noch den tollen Le Petit lieutenant nachgeholt.

Der kleine aber feine Alptraumwestern The Shooting von Monte Hellman hat mich mindestens ebenso begeistert wie die beiden düsteren Gangster- bzw. Milieufilme Get Carter und Thief, oder auch der Paranoia-Thriller Parallax View - vier herausragende Filme im Spätherbst. Von den aktuellen Filmen tat sich vor allem die lässige Paranoiakomödie Burn After Reading von den Coens hervor, aber auch der Kifferklamauk Pineapple Express und Pixars Wall-E haben für so manch guten Lacher gesorgt. Neben dem guckbaren Eden Lake gabs es aber auch noch eine Reihe mieserabler Horrorfilme wie Donkey Punch, Ils oder die beiden letzten Saw-Aufgüsse durchzustehen - man lernt Qualität wohl erst richtig zu schätzen wenn man auch den Bodensatz kennt. Mit A Women Under the Influence und The Killing of a Chinese Bookie habe ich John Cassavetes chronologisch weiter verfolgt, und mit Spione, The Kid und Safety Last auch die 20er Jahre etwas vertieft. Neben Ulrich Seidls dempremierendem Import/Export hat sich dann der fragmentarische und semi-dokumentarische Gomorra als echtes Kino-Highlight des Jahres herausgestellt, während der neue Bond kaum der Rede wert war. Ausserdem habe ich im Dezember mit dem spannenden und kompakten Rope, und dem etwas weniger spannenden und etwas weniger kompakten Dial M for Murder endlich mal wieder ein paar mir noch unbekannte Hitchcocks geschaut. Neben zwei kurzweiligen Dokumentationen, Man on Wire und Werner Herzogs Encounters at the End of the World, habe ich mit dem höchst vergnüglichen Western The Professionals, dem grimmigen Antikriegsfilm Southern Comfort und dem seichten Vicky Christina Barcelona von Woody Allen das Filmjahr ausklingen lassen.

2 Reaktionen zu “Filme 2008”

  1. wwi

    Ich muss schon sagen, ausgesprochen schönes Filmprogramm hattest du das letzte Jahr, mit einigen spannenden Anregungen.

    Mal sehen ob es nächstes Jahr wieder bei mir besser wird. Ich habe wohl nicht mal 100 Filme dieses Jahr gesehen (2004/5 waren es noch knapp 300) :( , aber bei den Kinohiglights des Jahres sind wir uns einigermaßen einig ;)

  2. marc

    danke für die blumen!

    wie kommt der rückgang bei dir zustande? beruflich voll ausgelast? ;)

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