22.6.08 - The Killing Fields
Die filmische Verarbeitung des Vietnam-Traumas hat viele Gesichter. In The Killing Fields erfolgt sie aus der Perspektive eines amerikanischen Journalisten in Kambodscha, welcher Mithilfe eines Ortsansässigen, der ihm dort als Dolmetscher und enger Vertauter zu Seite steht, Menschenrechtsverletzungen aufzudecken versucht die durch das Militär vertuscht oder verharmlost wurden.
Leider zählt The Killing Fields zu den weniger gelungenen Versuchen eine dieser Tragödien filmisch nachzuerzählen. Die fehlende Charakterisierung der beiden Hauptfiguren ist das erste grosse und ärgerliche Versäumnis des Films - dass diese selbst gegen Ende hin immer noch blass, fremd und unnahbar wirken ist angesichts dessen, dass fast die gesamte zweite Filmhälfte dramaturgisch auf deren Beziehung gründet, schlichtweg enttäuschend. Das Verhältnis zwischen den beiden Hauptdarstellern wird während der gesamten Laufzeit kaum näher beleuchtet, womit dem Zuschauer später auch jegliche Bindung zu den Figuren fehlt, auf die im Verlauf des Films dann aber ständig referenziert wird.
Um die Nähe zu den Figuren dennoch zu erzwingen, verstrickt Regisseur Joffe den Zuschauer in der zweiten Filmhälfte in das Schicksal des zurückgelassenen Prong. Man sieht tatenlos zu wie er im Gefangenenlager geknechtet wird, sich mühsam davonschleichen kann, er sich entschlossen durch den Dschungel kämpft, dabei über Leichen geht, und sogar kurzerhand noch einen Jungen “adoptiert”. Nach all diesen Strapazen wird man schliesslich durch die Einstellung einer rettenden Lichtung mitsamt eines amerikanischen Lagers erlöst, und in der Vermutung, dass der Film zielstrebig auf ein Happy End hinarbeitet, bestätigt. Als just in diesem Moment dann auch noch “Imagine” von den Beatles angestimmt wird, ist man bereits in tiefstem Oscar-Territorium angekommen: der Kitsch regiert über die Substanz, die blinde Betroffenheit über die weitsichtige Reflektion. So treten die Bilder der Opfer, die man kurz zuvor noch genüsslich ausgeschlachtet, und mit bedeutungsschwangeren choralen Gesängen und Opernklängen unterlegt hat, plötzlich wieder ganz schnell in den Hintergrund, um den emotionalen Höhepunkt des Films für das Schicksal der beiden Hauptfiguren zu beanspruchen.
Fairerweise muss man aber auch erwähnen, dass nicht alles an The Killing Fields zum Scheitern verurteilt ist: die erste Filmhälfte ist im Vergleich zur Zweiten sogar halbwegs gelungen, auch wenn der Film in dieser Phase ebensowenig neues über den Krieg zu erzählen vermag wie in seinen letzten Minuten. Doch funktioniert hier wenigstens der formale Ansatz, die allgegenwärtige Bedrohnung des Krieges detailgetreu abzubilden (auch wenn das viele andere Filme vor ihm schon souveräner bewerkstelligt haben). Bevor die Musik gegen später immer kitschiger wird, werkeln zu Beginn noch die oldfield’schen Synthie-Klänge, die die Ungewissheit und die latente Bedrohung der Kriegsszenarios wunderbar unterstreichen. Ansonsten aber bedient sich Joffe recht munter und einfallslos bei Filmen The Deer Hunter oder Apocalypse Now, aus dem sogar ganze Szenen mit Helikoptern oder dem lichtdurchfluteten Hotelzimmer als ästhetische Vorlage herangezogen wurden. Für einen kurzen Moment in der Mitte des Filmes keimt ausserdem tatsächlich soetwas wie echte Spannung auf, als die Flüchtlinge an der amerikanische Botschaft evakuiert werden, das Chaos ausbricht, und keiner weiss was nun eigentlich geschieht. Doch diese Stimmung verflüchtigt sich nur allzuschnell wieder, um dem dramaturgischen Leerlauf, in Form einer äusserst zähen und vorhersehbaren Durchaltefabel, den Weg zu ebnen.
Doch hat The Killing Fields sein Pulver bis dahin bereits längst verschossen - die Tortur des Prong wird auch sinnbildlich zur Tortur des Zuschauers, der sich erst durch quälend lange Filmminuten durchbeissen muss (die Erzählstimme von Prong ist nicht weniger anstrengend), um dann das eh schon lange im Vorraus Erahnte und Offensichtliche vorzufinden. So scheitert der Film letztendlich an seinem eigenen Anspruch ein intelligentes, bedeutsames Kriegsdrama zu sein. Man wird während der knapp zwei Stunden einfach das Gefühl nicht los, dass der Kriegshintergrund lediglich dafür herangezogen wurde um der Suche nach einem verlorenen “Sohn” einen möglichst gewichtigen Rückhhalt zu geben. Durch fehlende Überraschungsmomente und mangelnde Tiefe im Sinne historischer Zusammenhänge etc., dafür aber mit vielen bedeutungsschwangeren Rückblenden und schrecklich pathetischer Musikuntermalung gelingt es dem Film das geneigte Oscar-Publikum zu blenden und Anspruch vorzugkaulen, welcher aber letztendlich in seiner eigenen Doppelmoral erstickt. Es ist einfach viel zu plakativ und zu wenig für einen solchen Film, Kinder die meiste Zeit unmissverständlich als Opfer in die Bildmitte zu rücken, nur um sie dann später im Film auch mal als Täter agieren zu lassen. Nicht weniger plump ist die Szene zurück in Amerika, als der (schauspielerisch im übrigen genauso wenig überzeugende, sondern meist recht ungelenk chargierende) Journalist von stakkatohaften Bildern des Krieges im Fernsehen dazu angestachelt wird die Suche nach Prong niemals aufzugeben. Auf solche billigen Tricks greift Joffe leider immer wieder zurück, und will seinen Film mit entsprechenden Texttafeln im Abspann dann auch noch als Mahnmal gegen Not, Elend, Krieg und Unterdrückung verstanden wissen, wenngleich er damit aber nichts anderes als platten Meinungsdogmatismus betreibt. Dies alles verortet den Fim in einer ähnlichen Kategorie wie das rührselige Familiendrama Private Ryan, der sich ebenso als Kriegsfilm mit gewichtiger Botschaft tarnt, und Betroffenheit durch einen rührseligen Soundtrack und entsprechende Opferdarstellung erpresst, im Grunde aber genauso wenig zum Thema sagen hat.
Am 2. Juli 2008 um 16:41 Uhr
Hi Marc,
ich habe mich ja ganz schön geärgert über deinen Eintrag, deswegen musste ich erstmal Luft holen, bevor ich mich entschlossen habe, dir dann trotzdem einen Kommentar zu hinterlassen.
Zunächst: Dass dir der Film nicht gefallen hat, du ihn als zäh, langatmig, anstrengend und gezwungen empfunden hast, das kann ich dir schlecht nehmen. Bei mir hat der Film jedenfalls alles richtig gemacht. Ich gehe also im Folgenden gar nicht auf Geschmacksfragen (Schauspielerleistungen, Musik, “anstrengende” Erzählstimmen etc.) ein.
Was du dem Film im Kern vorwirfst - nämlich dass er sein Thema benutzt, um den Zuschauer zu affizieren, ohne es “ernst” zu meinen - kann ich nicht sehen, zumal du dir, wie ich finde, zum Teil widersprichst. Auf der einen Seite bemängelst du, der Film sei hollywoodesk-formelhaft, dann jedoch kritisierst du das Fehlen von Merkmalen die doch gerade die großen Hollywoodschinken auszeichnen (fehlende Identifikation, das Zerfallen in zwei Hälften, der generelle Mangel an Wohlgeformtheit bzw. “Rundheit”).
Ich finde, gerade etwa die äußerst zurückhaltende Darstellung von Prans Tortur hebt den Film doch von zahlreichen anderen Antikriegsfilmen ab. Wenn Pran kurz in eines der Massengräber rutscht, der Horror kurz an seinem Gesicht ablesbar wird, nur damit er seinen Weg danach unbeirrt, aber eben doch ein bisschen schneller als zuvor beschreitet, wird doch gerade das Grauen sichtbar: Der Krieg ist Horror, aber der Überlebende muss weitermachen als wäre nichts gewesen - obwohl er doch nie mehr derselbe sein können wird.
Deswegen finde ich es auch richtig, dass die immer wieder beschworene Freundschaft zwischen Pran und Schanberg eher nüchtern betrachtet wird. Pran ist nun einmal zunächst nur sein Assistent, ihr Verhältnis ist kollegial, aber eben rein beruflich. Der Journalist bemüht sich schließlich nicht nur um Pran, weil er sein Freund wird, sondern weil er (zu spät) erkennt, dass auch er ein Mensch ist, den man nicht tatenlos dem Grauen überantworten kann. Den Vorwurf der Gefühslduselei fand ich schon bei Spielbergs SCHINDLERS LISTE zynischer als den (streitbaren) Film: Natürlich ist es ein emotionaler Moment, wenn die beiden sich wiedertreffen und natürlich wird er auch als solcher inszeniert. THE KILLING FEELS ist aber auch keine formallogische Argumentation gegen den Krieg, sondern ein humanistisches Statement. Wie sollte man das anders vermitteln als über Emotionen?
Das Entscheidende, das einige deiner Kritikpunkte abzuschwächen in der Lage ist, entfleucht dir, ohne dass du die Prägnanz des Geschriebenen bemerkst: Du sprichst von THE KILLING FIELDS als einem Vietnamkriegsfilm, obwohl er den Kambodschakonflikt zum Thema hat. Natürlich ist deine Behauptung richtig und das erklärt auch, warum sich Joffe natürlich in eine Filmtradition einreiht. Wie könnte er 1984 einen Film wie THE DEER HUNTER oder APOCALYPSE NOW denn NICHT zitieren? Was ihn von diesen unterscheidet und ihm seinen Platz in der Ahnengalerie dieser Filme beschert ist, dass Joffe sich des Vietnamkriegs via des Kambodschakonflikts annimmt und den oft unbemerkten Kollateralschaden, der im Schatten der großen Kriege passiert, behandelt. Und dass doppelt sich dann in der Geschichte Schanbergs, der nach Kambodscha kommt, um über den Vietnamkrieg zu berichten und plötzlich eine ganz andere Geschichte - die Geschichte seines und Prans Lebens - schreiben muss.
Schade, dass dir der Film nicht gefallen hat.
Viele Grüße ins Ländle
Oliver